Juchhu, es ist wieder einmal soweit: Der 60. Jahrestag eines „Volksaufstandes“ in der DDR naht. Wieder eine Möglichkeit für Ex-Bürgerrechtler, Politiker und unser Staatsoberhaupt, über die unterdrückten, eingesperrten und nach Freiheit lechzenden Zonis zu skandieren und zur politischen Höchstform aufzulaufen.
Zur Erinnerung kurz und einseitig: Aus reiner Bösartigkeit, wie das so in einer kommunistischen Diktatur so üblich ist, beschloß das Politbüro Arbeitsnormen zu erhöhen und Löhne abzusenken. 6% der Industriearbeiter gingen daraufhin auf die Straße und demonstrierten dagegen. Dank der tatkräftigen Unterstützung des RIAS und aus Westberlin eingeschleuster Freiheitskämpfer bekamen die Proteste dann die Note, die ihnen heute zukommt: Ein Volksaufstand für die Freiheit! So wird in der BRD Geschichte geschrieben.
Im zweiten Anlauf 1989 hat es dann ja doch geklappt mit der Übernahme der DDR und wir leben jetzt in der besten Demokratie aller Zeiten in Glück, Freiheit, Zufriedenheit, Geborgenheit, Sicherheit; es gibt da noch ein paar dieser inzwischen beinahe-Fremdwörter, die ich gegenwärtig kaum noch benutze.
Da ich mit Susi zusammen bin, erhalten wenigstens einige dieser Wörter eine kleine private Existenzberechtigung. Was ist mit Glück? Macht mich ein kleiner Lottogewinn glücklich? Mein Job? Kaum. Ist es ein Glück daß ich mit Susi schon 8 Jahre verheiratet bin und wir uns immer noch lieben? Ja, natürlich. Wie zufrieden bin ich hier im trauten Heim…naja, mal so – mal so, aber sicher doch zufrieden. Geborgenheit: Ich weiß es zu schätzen wenn ich nach Hause komme und da ist jemand der auf mich wartet oder was gekocht hat. Irgendeine kleine Überraschung, die da auf mich wartet – eben jemand, der mich liebt – und den ich liebe. Das war zu DDR-Zeiten so wie im Westen. „Privat geht vor Katastrophe“, sagte man unter Arbeitern.
Verlassen wir den privaten Bereich einmal. Sicher könnt ihr euch vorstellen wie entspannt man zur Arbeit fahren kann wenn man weiß, daß man dort morgen, in ein paar Monaten oder ein paar Jahren immer noch arbeiten kann, weil dieser Arbeitsplatz sicher ist. Weil man ein gleichberechtigter Kollege unter vielen ist. Wie sieht das heutzutage aus?
Ich bin fast 58, die ersten Prophezeihungen trafen ein: „Wenn du über 50 bist, sieht´s mit Arbeit sehr schlecht aus“. Ja, seit ca. 10 Jahren halte ich mich mit Leiharbeit über Wasser, immer den Gedanken einer Abmeldung von einem Einsatzbetrieb im Hinterkopf. Befreundete Kollegen einer anderen Leiharbeitsfirma wurden nach Abmeldungen sogar gleich anschließend entlassen, weil´s keine Arbeit gab. Ein manchmal diskriminierender Job , als schlecht bezahlter Aushilfarbeiter auf Zeit, ausgeliehen für den Moment. Man kann private Planungen zum Teil getrost vergessen, weil man nie weiß, was morgen sein wird. Vom Verdienst mal ganz zu schweigen.
Wie kann ich mich in einem Land wohlfühlen, das mir bald die nächsten Reallohnkürzungen bringt, wo meine spärliche Rente gerade so reichen wird (was für ein Glück für mich, daß ich Baujahr ´55 bin), Politiker von Drohnen und Bundeswehrauslandseinsätzen faseln und Krieg schwärmen, eine SPD auf einem Wahlkampfplakat stolz „jedem Kind eine warme Mahlzeit“ verspricht, offizielle „Qualitätsmedien“ mir nur die halbe Wahrheit sagen, die DDR, nachdem sie schon 23 Jahre nicht mehr existiert, immer noch verteufelt wird…es würde eine endlose Aufzählung werden – ich breche es mal hier ab.
Brecht notierte in einem Brief an seinen westdeutschen Verleger Peter Suhrkamp: Die »scharfen, brutalen Gestalten der Nazizeit«, die »man seit Jahren nicht mehr in Haufen hatte auftreten sehen und die doch immer dagewesen waren«, hätten an diesem »tragischen 17. Juni«, angestachelt durch den Westberliner Sender RIAS, gebrandschatzt und geplündert.
Ist es ein Trost, daß es „Anderen“ viel schlechter geht? Daß ich „Hauptsache ein Job“ – Arbeit habe oder überallhin in den Urlaub fahren könnte? Natürlich nicht. Leuchtet es ein wenn man behauptet, daß wir über unsere Verhältnisse gelebt haben? Daß Deutschland am Hindukusch…usw usw.
Die Propagandamaschine ist das einzige, was hierzulande hervorragend funktioniert. In Betrieben, Ämtern bis zur Politik. Soviel Scheißhausparolen, habe ich in den ersten 40 Jahren meines Lebens nie gesehen, gelesen oder gehört. OK, mag sein, daß ich damals einige auch nicht mehr so wahrgenommen habe.
So, ich lege mich mal auf die Couch und werde ein wenig in der „jungen Welt“ blättern; die würde ich schon lesen,weil unsere neoliberalen Politiker sie absolut verteufeln. „Die jW pflegt ein explizit “linkes, marxistisch orientiertes” Selbstverständnis. Sie verunglimpft die freiheitliche demokratische Grundordnung pauschal als “Kapitalismus”, den sie in einer “Phase der Zuspitzung wirtschaftlicher und sozialer Widersprüche” sieht.“ (Bundesamt für Verfassungsschutz)
Also, das ist ja wirklich eine Frechheit und macht Lust auf mehr!
bin nd-leser,wenn ick mir die zeit dazu nehm.aber karin,meine mit mir verheiratete ex liest die jw mit jewinn