Nicht angekommen

Es kann wirklich keiner behaupten, daß ich nicht versucht hätte, „anzukommen“.
Vor der Übernahme der DDR war ich übrigens noch auf zwei Montagsdemos in Greifswald – Kollegen hatten mich überredet. Bei der Zweiten brüllten dann schon die Ersten die Parole „Wir sind ein Volk“, und das war es dann für mich. Wie ihr merkt, bin ich erst spät und nur kurz bei den Demos eingestiegen. Inzwischen ärger ich mich schon lange, da überhaupt gewesen zu sein.

Der Rest ergab sich dann, gefragt wurde keiner, das Land – mein Land – wurde verscherbelt, im KKW verloren mit mir 9000 Menschen ihre Arbeit, und ich kam in eine „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“ nach Westberlin.
Hier kürze ich mal ab.

Ich hatte mich damit abgefunden, jetzt in einer BRD zu leben.
Was sollte ich auch machen,und übrigens, wurde überhaupt jemand gefragt?

In den nächsten Jahren lernte ich das alles kennen, was uns die DDR so vorenthielt: Steuererklärungen, Pornos, Arbeitsamt, MäckDoof. In Greifswald gab es endlich den ersten Puff. Also all die Sachen eben, ohne die man im Westen nicht leben kann. Im neu installierten Westfernsehen – Greifswald zählte zum „Tal der Ahnungslosen“ – erfuhr ich die unglaublichsten Dinge über mein verschwundenes Land oder die „westlichen Werte“.

Nun dachte ich, daß der Westen sich nach ein paar Jahren Anti-DDR-Hetze und Kapitalismusverklärung so langsam beruhigen würde. Es wurde aber immer schlimmer: Die Russen wurden zu Feinden erklärt, die deutsche Sprache wurde neu verballhornt, Flaschensammler gehörte zum normalen Straßenbild. Aus FKK wurde Porno, aus Arbeitsplätzen Jobs, aus CO2 ein Klimakiller… und aus dem Osten kamen nur Nazis – mangels damaliger Aufarbeitung. Erzählte man uns. Und da ist noch viel mehr.

Ich spürte, daß ich mich veränderte – ich ging in eine Abwehrhaltung. Das hatte ich früher nicht nötig. Und ich war bekannt als Meckerkopf, was Unzulänglichkeiten im DDR-Alltag anging. Aber ich sprühte eben auch keine Scheißhausparolen an Häuserwände, rief nicht zum Umsturz auf oder stellte einen Ausreiseantrag. Warum auch?

 Das Thema DDR wird schon länger im Schwiegerfamilienkreis vermieden, weil ich gerne – etwas nachdrücklicher – meine Pro-DDR-Ansichten vertete.

 Inzwischen geht mir fast der gesamte BRD-Laden zu weiten Teilen am Arsch vorbei. Nicht, weil sich für mich persönlich nichts verbesserte, sondern, weil ich den Absturz vieler Bekannter und Kumpels erlebte. Weil in Krefeld der zweite Mensch der mich ansprach, ein Bettler war.
Und weil Kapitalismus etwas war, womit wir abgeschlossen hatten im Osten.

 Nicht angekommen sein, westdeutsch-plakativ für Menschen aus der DDR, welche diese peinliche BRD nicht als ihr Land akzeptieren können.

Na dann, und ihr –  schon angekommen? Oder schon aufgegeben?

Ein Kommentar:

  1. Sieh es mal so – die haben uns einfach nicht mitgenommen. Das sind doch die Sprüche der DEP. Den Wähler mitnehmen, den Wähler abholen.

    Wir beide sind frei von Schuld. ;-)

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