Die friedliche Konterrevolution war ein halbes Jahr alt und der Westen nahm die Dinge konzentriert in die Hand. Das KKW Lubmin wurde abgeschaltet, zum Abriss freigegeben. Ca. 9000 Menschen verloren nach und nach ihre Arbeit und versuchten einen neuen Job zu finden.
Bis neue Supermärkte gebaut waren, wurden die DDR-Kaufhallen mit Westmüll aufgefüllt. Oder man stellte schnell ein Einkaufszelt auf (Divi, Greifswald), um die nach Bananen hungernden Ossis endlich abfüllen zu können.
Beliebt waren auch Wochenmärkte. Fliegende Händler und andere Glücksritter aus Hamburg und Umgebung kauften die dringend benötigten Lebensmittel für die darbende Ost-Bevölkerung bei sich auf. Dann verscherbelten sie (damals noch) für Ost-Mark diese wieder an die Eingeborenen aus dem Bezirk Rostock – jetzt Meck-Pomm. Mit dem Ende des Ostgeldes verschwanden diese Wohltäter allerdings wieder.
Auf so einem Wochenmarkt am Stadthafen/Stralsunder Str. in HGW inspizierte ich mal die Auslagen auf den Campingtischen und wurde von der Seite von jemandem angequatscht:
• „Guten Tag, ich habe hier ein paar wunderbare Pflegemittel für Sie! Ihre Schuhe sehen danach aus wie neu und Sie müssen die nur noch ganz selten ihre Schuhe putzen.“
• „Mmm, danke, hab keinen Bedarf“ und sah zu meinen Turnschuhen herunter.
• „Diese Schuhcremes sind aber wirklich Spitzenklasse und das Geld holen Sie ganz schnell wieder rein!“
• „Nö, wie du siehst brauche ich sowas nicht“
Inzwischen hatte mich dieser ehemalige Arbeiter einer Nachbarfirma in KKW auch wiedererkannt.
• „Och komm, darf ich dir wenigsten die Schuhe putzen, dann siehst du auch, wie gut dieses Schuhpflegemittel ist?“
• „Mann tu mir das nicht an, du kannst mir doch nicht die Schuhe putzen!“
• „Doch kann ich, gerne, lass mich doch bitte, mein Chef guckt auch gerade herüber.“
Ich muß gestehen, daß ich nicht gerade der ideale Kunde war, bin ich heute noch nicht. Den Schuhputzer habe ich ignoriert, danach plagten mich eine zeitlang wirklich innere Zweifel, ob das richtig war. Wahrscheinlich wurde er von seinem „Chef“ angezählt, verlor seinen „Job“ – ich sah ihn jedenfalls nie wieder.
Daß man anderen für Geld die Schuhe putzt, kannte ich bisher nur aus Filmen; diese Situation auf dem Markt war für mich so unerträglich und peinlich…